Apparition ist eine außergewöhnliche Tanz- und Medienperformance, deren ästhetisches Potenzial daraus entsteht, dass interaktive Technologien in eine Bühnenperformance integriert werden. Das Projekt wurde von dem in Wien lebenden Komponisten und Medienkünstler Klaus Obermaier in Zusammenarbeit mit dem Ars Electronica Futurelab entwickelt. Dem internationalen Team von Klaus Obermaier gehören u. a. die Londoner Tanzkünstler Robert Tannion und Desireé Kongerød an, sowie die Interaction-Designer und Programmierer Christopher Lindinger, Robert Praxmarer und Peter Brandl vom Ars Electronica Futurelab. Das Analyse- und Motion-Tracking-System stammt vom Japaner Hirokazu Kato.

Hintergrund

Neue Technologien, ganz gleich ob mechanische, chemische oder elektronische, wurden in der darstellenden Kunst schon immer thematisiert. Mitte des 20. Jahrhunderts experimentierten Künstler erstmals damit, Medientechnologien in eine Live-Performance zu integrieren. Die zwei bekanntesten Medienkünstler dieser Zeit sind der tschechische Bühnenbildner Josef Svoboda, der die kinetischen Eigenschaften des Raums für seine inspirativen Kombinationen von Film und Live-Performance nützte, sowie der angesehene amerikanische Choreograph Alwin Nikolais, der mittels Multimedia-Elementen die Tänzer Raum und Bewegung in neuen Dimensionen erleben ließ.

Diese beiden Künstler verquickten erstmals Medientechnologien mit Live-Performance und gaben den Anstoß zu unterschiedlichsten Projekten einer ganzen Reihe von Theater- und Tanztheatermachern wie Robert Lepage (Kanada), Wooster Group (USA), William Forsythe (Deutschland), Marcellí Antonio Roca (Spanien), Dumb Type (Japan), Hotel Proforma (Dänemark), Blast Theory und Station House Opera (Vereinigtes Königreich).

Dieser Hintergrund liefert den Kontext für eine Reihe von Klaus Obermaiers Bühnenarbeiten, die er mit der Produktion D.A.V.E. (1998-2000) einleitete. Dieses Solotanztheaterprojekt entwickelte er zusammen mit dem Tänzer Chris Haring; das Innovative daran war, den Körper des Tänzers als Projektionsfläche so einzusetzen, dass Körper und Bilder zu einer Einheit verschmelzen. Nach dem Erfolg von D.A.V.E. (bis heute wurde es 80 Mal in 18 Ländern aufgeführt) begannen Obermaier und Haring mit der Entwicklung der Medien- und Tanzperformance VIVISECTOR (2002), bei dem durch eine technisch vereinfachte Form der Körperprojektion und vier Tänzer die Grenzen der Wahrnehmung ausgelotet wurden.

Keines dieser Projekte bediente sich interaktiver Technologien; sie basierten jedoch auf der kreativen und präzisen Kombination von festgelegter Choreografie, Inszenierung und aufgezeichneten Videobildern. Obermaier arbeitet schon seit 1991 mit interaktiver Kunst und will nun die Ästhetik der Körperprojektion weiterentwickeln, indem interaktive Technologien den Darsteller aus der Bühnenchoreographie lösen und eine digitale Medienperformance-Software Bild und Ton in Echtzeit generiert. Die Entwicklung des interaktiven Echtzeit-Generierungssystems in Zusammenarbeit mit Technikern und Entwicklern des Ars Electronica Futurelab und die Mitwirkung am DAMPF_lab (ein europäisches Gemeinschaftsprojekt für darstellende Kunst in Kombination mit Technologieforschung) initiierten das Projekt Apparition.







Die Entstehung von Apparition

Die Gestaltung einer Bühnenperformance basiert auf dem komplexen Zusammenspiel vieler Faktoren, einschließlich der physischen Fähigkeiten der Darsteller sowie der Dynamik der entstehenden Choreografie. Um dieses Zusammenspiel präzise wiedergeben zu können, baut das für die Generierung der Visuals für Apparition entwickelte Echtzeitsystem auf Rechenprozessen auf, die das physikalische Modell der realen Welt simulieren. Die inhärenten kinetischen Eigenschaften dieser Simulationen brachten uns zu der Ansicht, dass das gesamte interaktive System nicht nur eine bloße Ergänzung des Darstellers, sondern vielmehr ein potenzieller Partner während der Performance ist. So kann zum Beispiel der Darsteller das eigenständige Verhalten der physikalischen Modelle nicht „kontrollieren“, sondern lediglich durch seine Bewegungen beeinflussen. Dieses Zusammenspiel zwischen Tänzer und System und das Verständnis für ihre Beziehung zueinander sind wesentlich für die konzeptionelle und ästhetische Entwicklung des Projekts, ja, ermöglichten erst die Erarbeitung der Choreografie und bildeten das Fundament der Dramaturgie.

Das für Apparition entwickelte kameragestützte Motion-Tracking-System setzt komplexe Bilderkennungsalgorithmen ein, um die Konturen des sich bewegenden Tänzers vom Hintergrund – sowohl für die ständig aktualisierte Körperprojektion als auch die qualitative Berechnung bestimmter dynamischer Größen wie Geschwindigkeit, Richtung, Intensität und Lautstärke – zu isolieren. Die auf diesen Berechnungen basierenden Informationen bestimmen dynamisch die Echtzeitgenerierung der Visuals, die entweder direkt zurück auf den Körper und / oder großformatig als Hintergrund projiziert werden. Die präzise Synchronisierung der Projektionen auf den Hintergrund und die Körper ergeben eine Materialisierung eines ganzheitlichen immersiven kinetischen Raums / einer virtuellen Architektur, die zugleich fließend und starr sein kann, sich ausweiten und kontrahieren, sich wellen, krümmen und verzerren kann, um auf die Bewegungen des Darstellers zu reagieren oder sie zu beeinflussen.

Diese beiden Forschungsbereiche – das System als Performance-Partner und der immersive kinetische Raum – bilden den Rahmen für die Entwicklung der Bindeglieder des interaktiven Systems, der in Echtzeit generierten Visuals und der Performance. Es gibt keine systemische Hierarchie; es wurden jedoch Entscheidungen getroffen, die die assoziativen und metaphorischen Verknüpfungen zwischen berechneten, emotionalen und körperlichen Prozessen maximieren. Dieses Projekt ist mit einer interaktiven Installation, die auf den durchschnittlichen Betrachter und Teilnehmer abzielt, nicht zu vergleichen. Apparition legt Wert auf die gegenseitige Beeinflussung von virtuosem Darsteller und ausgefeilten Berechnungs- bzw. Medienprozessen, und trägt vor allem zur sich entwickelnden Ästhetik der interaktiven Bühnenperformance bei.

Text: Scott deLahunta
Aus dem Englischen von Michaela Meth

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Apparition  Klaus Obermaier and Ars Electronica Futurelab