Nicht umsonst steht die Wende der Kosmologie, die nach Kopernikus benannt ist, am Anfang der neueren Erkenntnis- und Enttäuschungsgeschichte. Sie hat den Menschen der Ersten Welt den Verlust der kosmologischen Mitte eingetragen und in der Folge ein Weltalter progressiver Dezentrierungen auf den Weg gebracht. Vorbei ist es von da an für die Erdenbewohner, die alten Sterblichen, mit allen Illusionen über ihre kosmische Schoßlage. ...

Mit des Kopernikus heliozentrischer These beginnt eine Serie von Forschungsausbrüchen ins menschenleere Außen, hin zu den unmenschlich weit entfernten Galaxien und den spukhaftesten Komponenten der Materie.
Den Evasionen ins Äußerste folgen Kälte-Einbrüche aus den kosmischen und technischen Eiswelten in die menschliche Binnensphäre. Seit dem Beginn der Neuzeit muß die Humanwelt in jedem Jahrhundert, in jedem Jahrzehnt, in jedem Jahr, an jedem Tag es lernen, immer neue Wahrheiten über ein nicht auf den Menschen bezügliches Außen hinzunehmen und zu integrieren. ...

Bei jedem Ausblick in die Erdfabrik und in die extraterrestrischen Räume nimmt die Evidenz zu, daß der Mensch nach allen Seiten überragt wird von monströsen Äußerlichkeiten, die ihn mit Sternenkälte und außermenschlicher Komplexität anhauchen. Diesen Provokationen durch das Außen ist die alte Natur des homo sapiens nicht gewachsen. Durch Forschung und Bewußtwerdung ist der Mensch zum Idioten des Kosmos geworden; er hat sich selbst ins Exil geschickt und sich aus seiner unvordenklichen Geborgenheit in selbstgesponnenen Illusionsblasen ins Sinnlose, Unbezügliche, Selbstläufige ausgebürgert. ...

In der Neuzeit leben, heißt den Preis für Schalenlosigkeit entrichten. Der geschälte Mensch agiert seine epochale Psychose aus, indem er auf äußere Erkaltung mit Wärmetechniken und Klimapolitiken antwortet. ... Aber nachdem Gottes schillernde Blasen, die kosmischen Schalen geplatzt sind, wer wäre imstande, prothetische Hüllen um die Bloßgestellten zu schaffen?

PETER SLOTERDIJK
SPHÄREN I – BLASEN







Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen?

Was thaten wir, als wir die Erde von der Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun?
Fort von allen Sonnen?

Stürzen wir nicht fortwährend?
Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten?
Giebt es noch ein Oben und Unten?

Irren wie nicht wie durch ein unendliches Nichts?
Haucht uns nicht der leere Raum an?
Ist es nicht kälter geworden?

FRIEDRICH NIETZSCHE
DIE FRÖHLICHE WISSENSCHAFT



oedipus reloaded
Klaus Obermaier, Hannes Hellmann, Ars Electronica Futurelab RUHRTRIENNALE 2004, Ringlokschuppen, Mülheim/Ruhr